Diese Waffen fielen in die Hände der Taliban
(T-Online Patrick Diekmann, 31.08.2021)
Das US-Militär hat Afghanistan verlassen, das Land ist nun unter der Kontrolle der Taliban. Bei ihrem Vorstoß konnten sie Waffen und militärisches Gerät erbeuten. Ein Überblick über die neue Ausrüstung der Islamisten.
In Afghanistan beginnt eine Zeitenwende, die Truppen der westlichen Allianz haben nach 20 Jahren das Land fluchtartig verlassen. Zurück bleiben vor allem eine verängstigte Bevölkerung, zahlreiche Waffen und militärisches Gerät, mit dem der Westen die afghanische Armee hochgerüstet hat.
Taliban-Kämpfer: Die Islamisten rückten vor allem mit Pick-ups, Motorrädern und Maschinengewehren vor. (Quelle: AP/dpa)
Diese Ausrüstung ist nun in den Händen der Taliban, die in weiten Teilen des Landes die Kontrolle übernommen haben und ihre Macht festigen. Zuvor verfügten die Islamisten vor allem über Pick-ups, Motorräder, Panzerfäuste und Maschinengewehre aus sowjetischen oder russischen Beständen. Nun sind die Taliban, die der Westen seit 2001 militärisch bekämpfte, so gut ausgerüstet wie nie zuvor.
Einige dieser Waffensysteme werden die Islamisten nicht oder nur begrenzt nutzen können. Ihnen fehlen die Ausbildung, eine fachmännische Wartung und Munition. Aber die Taliban könnten die Waffen ins Ausland verkaufen, um so an dringend benötigte Devisen zu kommen.
Doch um welche Waffensysteme geht es eigentlich – und um welche nicht? Ein Blick ins Arsenal der Taliban:
Durch den Vormarsch der Taliban und die schnelle Kapitulation der afghanischen Sicherheitskräfte bestand zunächst die Sorge, dass Kampfflugzeuge in die Hände der Islamisten fallen könnten.
Nach ersten Erkenntnissen ist dieses Szenario nicht eingetreten. Die US-Luftwaffe flog am 14. August Angriffe auf den Flughafen in Masar-i-Scharif, nachdem die Provinz kampflos an die Taliban übergeben wurde. Die Kampfjets der afghanischen Armee gingen in Flammen auf. Ein weiterer großer Teil der Piloten der afghanischen Luftwaffe konnte sich außerdem mit ihren Flugzeugen nach Usbekistan absetzen – eines wurde dabei offenbar von der usbekischen Luftabwehr abgeschossen.
Insgesamt haben die Islamisten neun militärische Flugplätze im Land erobert, doch welche Maschinen sie erbeuteten, lässt sich nur schwer beziffern.
Folgende Luftfahrzeuge wurden auf Videos und Fotos der Taliban identifiziert:
Flugzeuge: Mehrere amerikanische Embraer EMB 314 Super Tucano, eine amerikanische Cessna 208, mindestens acht sowjetische Antonov An-26 oder An-32.
Hubschrauber: Mindestens elf sowjetische Mil Mi-17, mindestens 13 sowjetische Kampfhubschrauber Mi-24/Mi-35, mindestens vier amerikanische Blackhawk-Hubschrauber, mindestens zehn amerikanische McDonnell-Douglas-MD-500-Kampfhubschrauber.
Die Islamisten konnten deutlich mehr Helikopter als Flugzeuge erobern. (Quelle: Twitter / @AsaadHannaa)
Drohnen: Mindestens sieben amerikanische Boeing-ScanEagle-Aufklärungsdrohnen.
Tatsächlich könnten noch deutlich mehr Maschinen erobert worden sein – aufgeführt wurden hier nur die bislang dokumentierten Luftfahrzeuge.
Militärische Fahrzeuge
Die Taliban konnten auch viele gepanzerte Fahrzeuge erbeuten. Die USA rüsteten die afghanische Armee mit über 20.000 Humvees aus – hinzu kommen Hunderte gepanzerte Fahrzeuge der Typen M1117 und M113 sowie Tausende militärische Lastwagen.
Kabul: Vor dem Flughafen sitzen Taliban in amerikanischen Humvees. (Quelle: AP/dpa)
Schwere Panzer gibt es in Afghanistan dagegen kaum – wenn vorhanden, stammen sie noch aus alten sowjetischen Beständen und sind oft nicht einsatzfähig. In dem hügeligen Terrain Afghanistans haben sich ohnehin leichtere, aber gepanzerte und minensichere Fahrzeuge bewährt. Nun sind genau diese Fahrzeuge im Besitz der Taliban.
Schusswaffen und Munition
In den vergangenen 40 Jahren kamen durch die anhaltenden Kriege und Konflikte immer wieder Waffen und Munition aus dem Ausland wie eine Seuche ins Land. Sie kamen aus den USA, aus der Sowjetunion, aus Europa, danach aus Russland. Mittlerweile wurden auch chinesische Nachbauten entdeckt.
Der Hindukusch ist ein Marktplatz für den internationalen Waffenhandel und vor allem für US-Unternehmen lukrativ – auch das trug zum anhaltenden Chaos in der Region bei.
Der Abzug des Westens hat die Verfügbarkeit von modernen Schusswaffen noch einmal deutlich gesteigert. Laut BBC haben die USA von 2003 bis 2016 über 358.000 Gewehre, mehr als 64.000 Maschinengewehre und über 25.000 Granatwerfer an die afghanische Armee geliefert. Allein im Jahr 2017 kamen noch einmal fast 20.000 M16-Gewehre und zwischen 2017 und 2021 mindestens 3.600 M4-Gewehre hinzu. Ihr Verbleib? Unklar.
Das ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs: Auch mehr als 130.000 Handfeuerwaffen, militärische Schutzkleidung oder auch Funkgeräte und Nachtsichtgeräte wurden allein von den USA nach Afghanistan geliefert. Die Menge an deutschen Waffen, die in dem Land im Umlauf ist, gilt dagegen als „nicht signifikant“, sagte Justine Fleischner von der britischen Organisation Conflict Armament Research (CAR) der „Wirtschaftswoche“.
Trotzdem haben die US-Truppen zuletzt noch am Flughafen in Kabul zahlreiche Flugzeuge und gepanzerte Fahrzeuge sowie das Raketenabwehrsystem funktionsunfähig gemacht, damit diese nicht in die Hände der Taliban oder anderer islamistischer Gruppen fallen. 27 Humvees und 70 gepanzerte MRAP-Fahrzeuge – die bis zu eine Million Dollar pro Stück kosten können – seien unbrauchbar gemacht worden, sagte der Chef des Zentralkommandos der US-Streitkräfte, General Kenneth McKenzie, am Montag (Ortszeit). Die Fahrzeuge „werden nie wieder von irgendjemandem benutzt werden.“
Taliban mit Ausrüstung des US-Militärs: Die Islamisten konnten zahlreiche westliche Waffensysteme erobern. (Quelle: AP/dpa)
Die USA ließen auch das Raketenabwehrsystem C-RAM zurück, das zum Schutz des Flughafens vor Raketenangriffen eingesetzt wurde. Das System trug unter anderem dazu bei, den Beschuss mit fünf Raketen durch die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ am Montagmorgen abzuwehren. „Wir haben uns dafür entschieden, diese Systeme bis zur letzten Minute in Betrieb zu halten, bevor das letzte US-Flugzeug abflog“, sagte McKenzie. „Es ist ein komplexes und zeitintensives Verfahren, diese Systeme abzubauen. Also entmilitarisieren wir sie, damit sie nie wieder benutzt werden.“
Ebenso seien 73 Flugzeuge, die sich bereits auf dem internationalen Flughafen Hamid Karzai befanden, von den US-Truppen „entmilitarisiert“ oder funktionsunfähig gemacht worden, sagte McKenzie weiter.
Wie setzen die Taliban die Waffen ein?
Die islamistischen Taliban feiern unabhängig davon ihre Kriegsbeute. Sie inszenieren sich in den Uniformen und mit den Waffen der USA auf Propagandavideos. Doch nicht alle davon werden sie gleichermaßen einsetzen können. In den Fahrzeugen des Erzfeindes fahren sie schon jetzt durch die Straßen Kabuls. Dagegen gehen viele US-Experten davon aus, dass die Taliban mit den Hubschraubern und Flugzeugen nichts anfangen können. Sie würden nicht über die nötigen Ausbildungen verfügen, um sie zu bedienen. Außerdem wurden die Maschinen von US-Unternehmen gewartet und mit Munition ausgerüstet. Das macht den Betrieb durch die Taliban ohne ausländische Hilfe unmöglich.
Doch die Islamisten könnten ehemalige afghanische Piloten zu Einsätzen in der Luft zwingen, indem sie die Familien der vom Westen ausgebildeten Kräfte bedrohen.
Wie die Taliban die westlichen Waffen allgemein nutzen können, wird vom Ausland abhängen. Die Taliban könnten Teile ihres Arsenals an Länder wie Pakistan oder Iran verkaufen. Dagegen könnten Russland und China neue Waffenlieferketten nach Afghanistan aufbauen – der Westen ist schließlich weg, einige Rüstungsunternehmen werden das als Chance sehen. So könnten vor allem Schusswaffen auf dem Schwarzmarkt landen – die Taliban brauchen Geld.
Auch wenn die Islamisten vielleicht nicht unmittelbar einen Nutzen durch die erbeuteten Waffensysteme haben, bleibt ein tragisches Fazit:
Vor allem die USA haben geschätzt eine dreistellige Milliardensumme in die Hochrüstung der afghanischen Armee investiert. Mit diesen Steuergeldern wurden nun im Ergebnis Islamisten bewaffnet. Es ist ein weiteres Kapitel der westlichen Schmach in Afghanistan.