Ich muss mich hier dringend zum in mir längst abgehakten Thema ’Geschäft und Moral’ äußern, denn die Nachrichten aus Deutschland sind schon alarmierend. Für mich aber in eine andere Richtung, als der öffentliche Tenor der letzten Tage, Monate, ja eigentlich schon Jahre. In der Selbstzerstörung wollen die Deutschen es den anderen mal wieder zeigen, dass sie auch darin Meister ihres Faches sind. Ich blicke auf 60 Jahre Deutschland zurück. Anfang der 1960’er Jahre war es, da saß ich im Hause meines Onkels, gemeinsam mit ihm und einem der größten deutschen Unternehmer seiner Zeit, zu Mittag und die beiden richtigen Industriekapitäne alter Schule plauderten über ein anderes, auch sehr bedeutendes Unternehmen. Der Max Grundig erzählte, wie er den Herrn Schickedanz über die besonderen Machenschaften eines im wahrsten Sinne an der Quelle sitzenden Einkäufers seines Hauses aufklären wollte, und der allerdings darüber längst informiert war. „Wenn ich ihn entlasse, dann füllt sich zunächst der Neue seine Taschen. So weiß ich, der Alte hat bereits alles was er braucht,“ sagte der Herr S. zum Herrn G. in Fürth, damals. Das will ich mal so stehen lassen. Knapp 10 Jahre später, ich hatte gerade meine Lehre bei dem bedeutendsten Handelsunternehmen meiner Stadt absolviert und dazu die Bundes-Wehrpflicht hinter mich gebracht, da durfte ich auf einer Leiter, die man mir nach ’oben’ angestellt hatte, einige Sprossen erklimmen, saß in Düsseldorf am Graf Adolf Platz und hatte mit der Levante ein Arbeitsfeld, dass sehr interessant war. Ich war mir und meinem Gewissen verantwortlich, ob ich für einen Transport von zum Beispiel 1.000 Tonnen Stahl eine Frachtrate von $ 39,75 oder $ 39,25 pro Tonne aushandelte. Die Differenz bot mir bei einem abendlichen Essen der Verhandlungspartner der mit uns arbeitenden Speditionsfirma offen an. Oh was war ich stolz, auf so ein Angebot nicht eingegangen zu sein! – Und im Nachhinein? Ich habe da mehr zufällig alte Korrespondenz von mir gefunden, wo ich meine Geschäftsleitung in Düsseldorf bat, doch sich an in Lübeck getroffene Vereinbarungen zu halten. Und das dauerte, kann ich rückblickend nur festhalten! Ja, ja, der Kleine soll den Gürtel enger schnallen… und die Großen leben ihm schon vor, wie man es ’besser’ macht. Ich sollte nicht so ungeduldig sein; man warf mir indirekt meinen üppigen Lebensstil vor, weil ich jeden Mittag in entsprechend feine Restaurants speisen ging und mein Abteilungsleiter am Schreibtisch aus der Alufolie sein in Häppchen geschnittenes Schwarzbrot verdrückte. Zum Geburtstag erhielt ich ein Simmel-Buch mit dem schönen Titel, und nur um den ging es meiner Abteilung, ’Es muss nicht immer Kaviar sein.’ Ja, ja, Neid einmal anders ausgedrückt… Für mich stand fest: “Eines Tages, werde ich ihr Generaldirektor!“ Das war immer meine Motivation, vom ersten Tag meiner Lehrzeit an. Wundervoll, wie sich dann vielleicht noch nicht einmal fünf Jahre später ein weiter Bogen zum Kreis schloss und ich in Mannheim mit einem Kunden von mir, einem der wichtigsten Einkäufer in der Bauszene, zum Mittagessen saß. In dieses feine Restaurant kam auch der inzwischen von Düsseldorf nach Mannheim beförderte Direktor, ebenfalls mit einigen Kunden. Wir waren mindestens auf Augenhöhe würde ich behaupten; er war sowieso körperlich ein Kopf kleiner. Ich war mein eigener Boss geworden, er hatte seine Spesen mit einer Instanz abzurechnen, die ihm im stets im Nacken saß. Ich war frei! „Wer gut schmiert, der gut fährt!“ hieß es wohl nicht nur im hanseatischen Lübeck, sondern in der gesamten Republik, und das bezog sich nicht nur auf das Auto. Wie sollte denn wohl ein enger, vertraulicher, verlässlicher Kontakt zustande kommen, wenn nicht bei gemeinsamen Treffen? Wo anders, als in einer etwas verlängerten Mittagspause hatte denn ein Geschäftspartner damals Zeit, sich mit einem neuen möglichen Partner ausführlich einzulassen? Und das war seine Aufgabe, die besten Bedingungen für sein Unternehmen auszuloten. Wenn mittags keine Zeit für ein intensives Gespräch war, dann bot sich nur der Abend! Unter Verzicht auf die eigene Familie, möchte ich hinzufügen. Dann kamen kleine rote Neider endlich an die Macht und meinten, als erstes ein großes Werk zu tun, indem sie Gesetze schufen, die Bewirtungen und alles was damit zusammenhängt, neu regelten, Ausgaben beschnitten usw. Wie groß war der Knick, den nur die Gastronomie seit damals hinnehmen musste? Arbeitsplatzverluste, ohne Ende! Mir waren solche Zahlenvorgaben egal, ich verbuchte meine Aufwendungen entsprechend, wie ich sie für richtig hielt, und die nur ich vor mir zu verantworten hatte. Nun muss man sich natürlich schon ein wenig mit der doppelten Buchhaltung auskennen. Was soll da ein Konzern wie Siemens, und nun bin ich beim Heute, denn wohl machen, wenn man gegen die anderen Riesen in seinen diversen Branchen und Sparten anzukämpfen hat? Und ’die’ kämpfen auf sehr vielen Feldern! Und ’die’ kämpfen um Aufträge, die wiederum Arbeitsplätze bedeuten! Und wenn ’die’ nicht genügend schmieren, dann läuft die Karre nur langsam oder gar nicht! Da wundere ich mich zwar über die dillethantische Form der Verbuchung in dem Hause, wie so etwas überhaupt an die Öffentlichkeit kommen kann(!?), aber über die amateurhaften Formulierungen der Münchner Staatsanwaltschaft wundere ich mich nicht. Von ’Bankbeamten’ redete da kürzlich der gleiche Oberstaatsanwalt Müller, der sich auch zur möglichen Geldflucht von Liechtenstein nach Singapur äußerte, und der mit am administrativen Siemens-Desaster beteiligt ist, und einen kleinen Direktor verurteilt, der niemals die alleinige Kompetenz im Hause Siemens gehabt haben kann, um nun angeblich ca. 50 Mio. € auf schwarze Kassen im Ausland geschafft zu haben, um als ’Siemens’ global richtig flüssig zu sein… Wann nannte man die Banker doch noch ’Bankbeamte’? Das war ja noch weit vor meiner Lehrzeit, und schon damals waren die heutigen Praktiken normal und, pardon, sogar notwendig, sonst hätte gar kein so fett gefressener Staatsapparat entstehen können, der sich nun heute daran macht, alles zu zerschlagen! Aber für mich wiegt ja noch viel schlimmer, dass sich dann die Luftnummern in Nadelstreifen aus der Vorstandsebene des gleichen Konzerns hinstellen, einen möglichen Schaden von rund 1 Mrd. € hochrechnen und sich dafür bei den ehemaligen Verantwortlichen schadlos halten wollen. Sie könnten nur den möglichen Imageschaden meinen. Und selbst das ist anzuzweifeln, denn auf Euro und Cent lässt sich so etwas nicht bestimmen, zumal die gerade im TV von Siemens gemeldeten großen, neuen Geschäftsabschlüsse in Milliardenhöhe etwas anderes beweisen. Also ernsthaft Ahnung von Buchhaltung wird da auch keiner haben, im Gegenteil! Als Verteidiger des jetzt verurteilten kleinen ehemaligen Direktors würde ich nicht auf dem sitzen lassen, dass 50 Mio. am deutschen Fiskus vorbei ins Ausland transferiert, sondern dass daraufhin so und soviel Millionen, ja Milliarden Geschäfte zum Wohle Deutschlands abgeschlossen wurden! Nur, solche Denkspiele sind nicht populär, im Deutschland der Neider. Was werden sich die globalen Konkurrenten von Siemens und den anderen, im Augenblick noch nicht im Fokus der Staatsanwaltschaft stehenden Groß-Unternehmen, die Hände reiben, in der Vorfreude auf zukünftige, schöne Aufträge, die nun mit entsprechend geringeren Schmiergeldern realisiert werden können! Das Signal dieser Selbstzerstörung an die ausländische Konkurrenz! Wie rührend ist doch zudem die Berichterstattung, dass die Deutsche Bahn extra eine Abteilung geschaffen hat, die sich um Korruptionsfälle im Hause kümmert. Und weil so viel Arbeit anfällt, sind es inzwischen 20 Mitarbeiter, die ihren Kollegen auf die Finger schauen. Toll! Komisch ist nur, es fährt und fliegt und läuft schon seit Längerem nicht mehr so glatt im ehemaligen Vorzeigestaat des Kapitalismus. „Wer gut schmiert, der gut fährt!“ Wer das vergisst, kommt nur holprig weiter, dann hat er aber noch Glück gehabt. Meistens fällt man. Ich sehe es nicht erst seit diesen Tagen, ich sehe es von außen, und da wird es so besonders deutlich!
Von außen betrachtet
Permanentlink zu diesem Beitrag: https://romanschreiber.info/von-aussen-betrachtet/